Der Juni in Ginnheim

wird heiß, behaupte ich jetzt mal:

Denn was das Rahmenprogramm angeht, war zwar in den letzten Monaten schon einiges los, so richtig aktiv werden wir aber, wenn nun endlich mal die Sonne rauskommt:

Für historisch Interessierte gibt es einen Vortrag über die Arbeiterwohnsiedlung „Roter Block“ – hervorragend und facettenreich recherchiert, berichtet Elke Peters am 18. Juni, 16 Uhr in der Sta. Familia.

Für politisch Interessierte haben wir die Lesung „Und sieh, dass du Mensch bleibst“  im Angebot – Texte von und über Rosa Luxemburg, die Namensgeberin der bekannten Ginnheimer Stadtautobahn; engagiert vorgetragen von Bettina Kaminski, Freies Schauspiel Frankfurt (11. Juni, 19 Uhr, TSV, Ausstellung)!

Bewegungsfreudige kommen bei der Radtour mit Elke Peters auf ihre Kosten: Quer durch Ginnheim u.a. zur Maysiedlung geht es am 19. Juni, 17 Uhr, Treffpunkt: Jugendclub Stefan Zweig

Und Kinder sollten unbedingt die letzte Chance nutzen, sich zum Kreativworkshop im Geldmuseum der Deutschen Bundesbank anzumelden: Kreuz und Quer durchs Münzenmeer – am 19. Juni, 16 Uhr, Anmeldung unter geldmuseum@bundesbank.de

und dann gibt es ja noch die Wohnzimmergespräche auf dem Kirchplatz (ab 20. Juni)und die Lesung(en) mit Peter Kurzeck (24&25. Juni) — hier und für alle anderen hier, und die letzte Gelegenheit einer Kuratorinnenführung (26. Juni), bevor wir im Juli schon wieder abbauen, doch dazu später mehr…

und wie finden die jüngeren Besucher unsere Ausstellung?

So: Besucherbuch stadtlabor unterwegs Ginnheim. Foto: hmf

Ausstellungsvorschau: Ginnheimer Gaststätten: „Der Adler“

Weitbekannt ist diese Gaststätte, die es seit 1889 gibt, noch heute, was auch täglich der Parkplatz beweist. Und schön blieb der Garten, wie vor hundert Jahren. Das erscheint fast wie ein Wunder, bei der immer enger werdenden Bebauung rundum – auch noch nach der Jahrtausendwende.

Garten des Adlers um 1900

Früher besaß das Gasthaus im ersten Stock einen 300 qm großen Saal mit Empore und Bühne für etwa 300 Gäste und im Keller kelterte der Wirt seinen „Äbbelwoi“.

Auf der Postkarte ist der Tanzsaal zu sehen

Auf der Postkarte ist der Tanzsaal zu sehen

Im Zweiten Weltkrieg wurden Ballsaal und Keller zweckentfremdet: Im Ballsaal wurden Zwangsarbeiter untergebracht und im Keller suchten die Menschen Schutz vor Bomben.

Nach dem Krieg baute man 1951 den ehemalige Ballsaal des „Adlers“ zum „Adler Filmtheater“ um. Der Eintritt betrug 50 Pfennige, ein Einheitspreis für Kinos in diesen Jahren. Damals wurden dort auch Tanzstunden für junge Leute angeboten.

Tanzkränchen

Ab Weihnachten 1952 wurde täglich ein Fernsehprogramm ausgestrahlt, die damaligen 4.000 Zuschauer waren aber noch keine Konkurrenz für die Kinos. Die Fernsehzuschauer wurden jedoch von Jahr zu Jahr mehr. Als dann die Ministerpräsidenten der Länder im März 1961 beschlossen, dass die ARD zusätzlich ein zweites Fernsehprogramm einrichten sollte, war das auch 1962 der Tod des einzigen Ginnheimer Kinos im „Adler“.

Von 1914 bis 1974 war „der Adler“ in Besitz der Familie Glock, an deren Gastfreundlichkeit sich die älteren Ginnheimer noch heute erinnern. Von 1974 bis heute führt die Familie Ribicic erfolgreich die Gaststätte, zuerst Ilija Ribičič als Geschäftsführer und Jakov als Koch.

Seit den achtziger Jahren wird beim „Adler“ das „Zwölf Apostel Bier“ ausgeschenkt aus der ersten Frankfurter Hausbrauerei von Braumeister Franz Bobak.

Diese und weitere Gaststätten werden in der Ausstellung ab 23. März vorgestellt!

Der Dreimärker in den Niddawiesen

Die Grenzen der Frankfurter Stadtteile haben heute keine große Bedeutung mehr außerhalb der Stadtverwaltung. Die meisten Bürger kennen sie nicht einmal mehr genau. Selbst die örtliche Presse gerät da immer wieder einmal ins Schwimmen.

Besonders bedauerlich ist das nicht. Stände da nicht in den Niddawiesen noch ein seltener „Dreimärker“, der das Zusammentreffen der drei Gemarkungen von Ginnheim, Hausen und Praunheim kennzeichnet. Dieses wertvolle Geschichtsmonument sollte der Wanderer nicht übersehen.

Im Jahre 1478 kaufte Graf Philipp von Hanau die Gemeinde Ginnheim vom Kloster Seligenstadt für 4.200 Rheinische Gulden, einschließlich der hier wohnenden Menschen, den „Leibeigenen“, versteht sich. Zu dieser Zeit mögen es vielleicht 300 Einwohner gewesen sein, so genau kann man es nicht mehr sagen. Was wir allerdings wissen: viel später, 1812 hatte Ginnheim 440 Einwohner, wahrscheinlich wurden aber die Kinder nicht mitgezählt.

Nach dem Tode des letzten Hanauer Grafen 1736 gelangte das Dorf durch Erbschaft an den Landgrafen von Hessen-Kassel.

Wie kompliziert die damaligen Besitzverhältnisse in der heutigen Frankfurter Gemarkung waren, kann man am 70 cm hohen Dreimärker in den Niddawiesen nahe der Gaststätte „Niddagarten“ heute noch sehr gut sehen. Gesetzt wurde dieser „Dreimärker“ am 30. Juli 1770. Als Zeugen der feierlichen Handlung waren 37 Personen anwesend, darunter Mitglieder der zuständigen Dorfgerichte von Ginnheim, Bockenheim, Hausen und Praunheim.

Unter den Versammelten waren auch Amtmann Burkhardt aus Bergen für das Gerichtsamt „Bornheimer Berg“ sowie Assessor Hoffmann für die Grafen von Solms-Rödelheim. Für das Frankfurter Landamt zeugten ein Schreiber, ein Ratsherr sowie zwei Ackergeschworene.

Auf dem Stein sind zu sehen:

A) auf der Wange Richtung Osten zur Ginnheimer Gemarkung hin die Wappen der Grafschaft Hanau-Münzenberg und dazu der Landgrafschaft Hessen-Kassel (ab 1736) sowie die Jahreszahl der Setzung – 1770.

B) auf der Wange Richtung Süd-West zur Gemarkung Hausen der Frankfurter Adler, dieses Dorf befand sich seit 1481 im Besitz der Freien Reichsstadt Frankfurt.

C) auf der Wange Richtung Nord-Nordwest, Gemarkung Praunheim, ein Doppel-Wappen, das die ehemaligen Besitzverhältnisse anzeigt: seit 1477 gehörte die Gemeinde je zur Hälfte den Grafen zu Solms-Rödelheim und den Grafen von Hanau, diese Hälfte gelangte 1736 im Erbgang zur Landgrafschaft Hessen-Kassel.

Jahrein, jahraus stand dieser Grenzstein mit anderen in häufig überschwemmten Niddawiesen herum. Doch in jüngster Zeit kam er noch einmal in die Schlagzeilen:

Bei einem Rundgang bemerkte der Sossenheimer „Stadtteilhistoriker“ Günter Moos erstaunt, dass der „Dreimärker“ verschwunden war. Den Leiter des städtischen Vermessungsamtes, Walter Siebert, setzte diese Tat in „höchste Erregung“ (so ein Bericht der Stadt Frankfurt). Die Entwendung eines solchen Grenzsteines gilt auch heute noch als Urkundenunter­schlagung und wird strafrechtlich verfolgt.

In früherer Zeit war die Beseitigung eines Grenzsteines eine beachtliche Straftat. Die „Peinliche Gerichtsordnung“ sagte dazu: „Welcher böslicher- und gefährlicherweise eine Untermarkung, Neinung, ein Mal oder einen Markstein verrückt, abhaut, abthut oder verändert“ wird bestraft und zwar „peinlich am Leib“, was bedeuten konnte, ihm wurde die Hand abgeschlagen.

Heute sieht man das im Frankfurter Stadtgebiet ein wenig entspannter, die „Frevler“ kamen mit einer wohlmeinenden Ermahnung davon. Dennoch: der § 274, Nr. 2 des alten Deutschen Strafgesetzbuches „straft mit Gefängnis bis zu 5 Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu 3000 M. erkannt werden kann, denjenigen, welcher einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem andern Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unkenntlich macht, verrückt oder fälschlich setzt.“

Nach einiger Zeit gelang es, den Verbleib aufzuklären: Beim Besuch des Praunheimer Zehnt­scheunenfestes entdeckte Günter Moos den Stein auf dem Kirchhof der Praunheimer Aufer­stehungsgemeinde. Daneben stand noch ein weiterer Dreimärker von Praunheim/ Rödelheim/ Eschborn.

Kräftige Gemeindemitglieder hatten den wichtigsten Frankfurter Stein im Juni 1983 ausgegraben und auf Anregung Pfarrer Michael Schirrmeisters neben seine Kirche gesetzt. Naiv hatten die Männer geglaubt, der an unscheinbarer Stelle in den weiten Wiesen „herrenlos“ herumstehende Stein, sei bei ihnen weit besser aufgehoben. Doch der „Dreimärker“ musste Alt-Praunheim verlassen: am 1. November 1983 kam er im Beisein von Geometern und Journalisten wieder auf seinen alten, neu vermessenen, Stammplatz in den Niddawiesen zurück. Der Praunheimer Pfarrer wurde 1985 mit dem Preis „Humor in der Kirche“ ausgezeichnet, aber doch wohl nicht wegen des „kirchlichen Dreimärkers“?

 

Die kleine Wildnis am alten Standort des Steines wurde in den letzten Jahren von Amts wegen beseitigt, jetzt können Spaziergänger und Jogger in den Niddawiesen den „Dreimärker“ schon von weitem wieder freundlich grüßen.

 

Jürgen W. Fritz, XI. 2012