Wie das Wohnzimmer Ginnheim sich dem gemeinschaftlichen Gärtnern öffnete

Das Private gehört – nach den Berichten aus dem Medienwald – zu den aussterbenden Arten, die es zu schützen gilt. Aus den engen Sträßchen von Ginnheim gesehen ist das Private dagegen ein großes Wohnzimmer, dessen Raum verriegelt ist. Kein Wunder, dass ihre Bewohner, von der eigenen Privatheit verengt, nach einer Öffnung suchen. Zum Beispiel, indem sie gemeinschaftlich gärtnern.

Sybille Fuchs und Jan Jacob Hoffmann öffneten dadurch sogar das große Wohnzimmer Ginnheim. Angespornt und unterstützt durch die Ausstellungsreihe „Stadtlabor unterwegs“ des Historischen Museums Frankfurt, die diesmal im Stadtteil Ginnheim lief, überlegte das Ehepaar, ein urban gardening Projekt hier zu realisieren. Dem ursprünglichen Plan nach sollte der Garten auf einem der Parkplätze, einem Brachfeld oder einer Verkehrsinsel angelegt werden: Diesem Schema wird in Deutschland am meisten gefolgt. Während der Suche verband sich aber der bis dahin abstrakte Wunsch nach dem öffentlichen Gärtnern mit den konkreten ortsbezogenen Gedanken. Daraufhin wurde beschlossen, einen mobilen urbanen Garten auf dem Kirchplatz anzulegen.

Der eigene private Garten des Ehepaars lieferte wichtige Anstöße dazu. 2010 zogen Sybille Fuchs und Jan Jacob Hoffmann nach Ginnheim. Trotz der sichtlich dörflichen Umgebung war die Situation unmittelbar um das Haus typisch urban: enger Raum, Asphalt, versiegelter Boden. Da beide einen Garten wollten, haben sie die Pflaster entfernt, die Fläche um das Haus durch die Hoch- und Blumenbeete, sowie durch die Obstbäume begrünt und gestaltet. Ein Dachgarten rundet die auf den unterschiedlichen Höhen liegende kompakte Gartenanlage ab.

Dem Entwurf für den Gemeinschaftsgarten ging eine innerfamiliäre Diskussion voraus. Sybille, der die Idee des Gärtnerns gehört, wollte einige wenige Gabionen auf dem Platz aufstellen und damit – wie mit einem Kunstwerk in der Öffentlichkeit – Impulse für das Wiederbeleben der Gartentradition in Ginnheim setzen. Jan Jacob wurde dagegen von einem „städtebaulichen Problem“ angetrieben: der Unfähigkeit der Ortsmitte, des Ginnheimer Kirchplatzes also, ein kommunikatives Zentrum der Gemeinde zu sein. Er schlug vor, 30 Gabionen aufzustellen – wenn kein Café für alle, dann zumindest das Gärtnern für viele. Er entwarf auch das Rahmenprogramm mit Abendvorträgen: „Gedacht ist an eine Atmosphäre zwischen Stadtteilfest, Wohnzimmer-Lounge und Diskussionsrunde. Hier können Vortragende, Moderatoren und Publikum ins Gespräch miteinander kommen und Ideen, Ansichten und Utopien zum Stadtteil Ginnheim austauschen. Zentral dabei ist der Gedanke, dass der öffentliche Raum temporär gemeinschaftlich genutzt wird“. Hat die Idee von Sybille Fuchs also verloren? Mitnichten. Sybille ist eine „Zentrale“ für die Kommunikation rund um den Garten. Durch eine der kleinen grünen Plaketten, die die Gabionen zieren, spricht sie – frei nach Joseph Beuys – den Gartenbesucher an: „Jeder Mensch ist ein Gärtner oder der erweiterte Gartenbegriff“. Schließlich klingt der Name „Kirchplatzgärtchen“ viel stärker nach einem dörflichen Ambiente als nach einer theoretisierenden Diskussion.

Es gibt in der Ginnheimer Urban-Gardening-Kampagne ein Thema, in der die Koalition Fuchs & Hoffmann den größtmöglichen gemeinsamen Nenner gefunden hat. Das ist das ironische und artistische Bild des „Wohnzimmers Ginnheim“. Als Jan Jacob den Titel der Ausstellung „G-Town. Wohnzimmer Ginnheim“ des Historischen Museums hörte, dachte er: „Ist das fies! Ist das gemein! – Weil es die Sache so genau trifft.“ Darauf dachten die beiden: „Ja, das könnt ihr kriegen!“ Für die Veranstaltungen auf dem Platz besorgten sie gepolsterte, altmodische und durchaus gemütliche Möbel und schufen dadurch eine mobile private Wohnzimmer-Lounge für die öffentlichen Gespräche auf dem Kirchplatz.

Die Kuratorin der Ausstellung, Sonja Thiel, machte aktivst mit. Oder genauer: Sie tat viel dafür, dass das Kirchplatzgärtchen samt Rahmenprogramm als ein Teilprojekt der Ausstellung „G-Town. Wohnzimmer Ginnheim“ realisiert wurde. Die „Teilhabe“ – ein Schlüsselbegriff für das Historische Museum Frankfurt – wurde in Ginnheim zu 200 % erfüllt: mit je 100% für jede Seite.

Stadtlabor unterwegs: Wie das Wohnzimmer Ginnheim sich dem gemeinschaftlichen Gärtnern öffnete from historisches museum frankfurt on Vimeo.

Einladung zur Finissage

Nur noch heute und morgen: Die liebgewonnene Stadtlabor unterwegs Ausstellung „G-Town. Wohnzimmer Ginnheim“. Seit März im TSV zu sehen war sie Treffpunkt, Kuriositätenkabinett, Ort für Stadtteilgeschichte und Reisen in die Vergangenheit, Spielplatz und Wohnzimmer in einem für die Besucher/innen und Macher/innen.

Am Donnerstag, 4. Juli, ab 17 Uhr laden wir zum letzten „Get-Together“ in der Ausstellung! Eine Gelegenheit die Macher/innen zu treffen und neue Pläne zu schmieden oder letzte Rückmeldungen zum Stadtteil zu hinterlassen. Außerdem gibt es ein Sofa zu gewinnen.

Ab 20 Uhr laden wir ein zu den „Wohnzimmergesprächen auf dem Kirchplatz“ zum Thema „Tomaten aus der Dose! Der Anfang vom Ändern ist jetzt! Urban Gardening und Transition Town Bewegung, Leihen und Tauschen: Grundlagen der (neuen?) sozialen Bewegungen.
Auf der grünen Couch sitzen diesmal Prof. Kuni, Matthias Emde, Claudia Fricke, Karen Schewina & Jan Jacob Hofmann.

Musik gibts von den „Azzis mit Herz“
Wir freuen uns auf ein Wiedersehen!

G-Town – Reaktionen der Besucher/innen

In der Ausstellung „G-Town. Wohnzimmer Ginnheim“ lernen nicht nur die Besucher/innen etwas über den Stadtteil. Als Betreuerin der Ausstellung habe ich bisher allerhand Neues erfahren. Wenn Alteingesessene aus dem Nähkästchen plaudern oder ehemalige Bewohner in Erinnerungen schwelgen, vergeht die Zeit wie im Flug.

So erzählte ein Ginnheimer von seinen Kindheitstagen, als die US-Soldaten den Kindern Süßigkeiten aus den Fenstern der US-Housings warfen. Eine Besucherin entdeckte sich als junges Mädchen auf der Bilderwand der KT 23 und erinnerte sich an den Mittagsunterricht. Ein anderer erkannte sich im Video des Jugendzentrums über die Hausbesetzung wieder.

Es kommen immer wieder interessierte  Leute in den TSV Ginnheim, die darüber staunen wie Ginnheim einst aussah und vor allem, wie lebendig der Stadtteil durch die vielen Wirtschaften war. Manche kommen auch zwei- oder dreimal, was bei der Fülle an Informationen durchaus zu empfehlen ist! Das Feedback ist größtenteils positiv, was uns natürlich sehr freut. Auch wenn einzelne Stimme darüber klagen, dass dies oder jenes fehle. Doch genau hier greift der Grundsatz einer partizipativen Ausstellung: auch die Besucher sind dazu eingeladen ihr Wissen weiterzugeben, um somit genau diese Lücken zu füllen. (denn ja: jeder ist ein Experte seiner Stadt)

Noch bis 4. Juli 2013 machen wir es uns von Dienstag bis Sonntag auf der Couch im Wohnzimmer Ginnheim bequem und freuen uns auf interessierte Besucher/innen!

Kinder zu Besuch im „Wohnzimmer Ginnheim“

(Das Wohnzimmer) Ginnheim ist von und für Kinder ein famoser Ort: das fanden auch die Kinder der erweiterten schulischen Betreuung der Astrid Lindgren Schule bei ihrem gestrigen Besuch in unserer Wohnzimmer- Ausstellung.

Natürlich wollten alle hämmern – und jeder hat seinen Lieblingsort oder den Ort, an dem man sich mit Freunden trifft markiert – und nebenbei wieder was über die Grenzen und Struktur von Ginnheim gelernt.  Auch was das Ginnheimer Wappen und Logos so gemeinsam haben, was Straßennamen bedeuten und welche Geschichten eine iranische Frau im Interview eigentlich zu erzählen hat, kam gut an. Die ALS  Schulbetreuung nahm die Wanderung von Neu- nach Altginnheim natürlich auch auf sich, um sich den eigenen Ausstellungsbeitrag anzusehen: das kulinarische Familienportrait! Der Hintergrund des Beitrags: Das gemeinsame Essen und Kochen in der Einrichtung spielen eine große Rolle! Dabei ging es auch um die eigene Migrationsgeschichte, Gewohnheiten und Vorlieben beim Essen. Die Rezepte zum Mitnehmen begeisterten ganz besonders – schließlich haben die Kinder sie mitgestaltet.

Ein Ausflug mit Kindern ins Wohnzimmer Ginnheim lohnt sich also! Es gibt viel zu entdecken und robust  ist die Ausstellung nebenbei auch. Noch ein Vorteil: Lautstärke spielt (fast) keine Rolle, die Turnhalle im Nebenraum spricht da Bände…